Irgendwo in Deutschland (German Edition) by Stefanie Zweig

Irgendwo in Deutschland (German Edition) by Stefanie Zweig

Autor:Stefanie Zweig [Zweig, Stefanie]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783784481975
Herausgeber: Langen-Müller
veröffentlicht: 2014-06-05T22:00:00+00:00


13

Regina, von einer zierlichen, rotblonden Frau mit auffallend grünen Augen hinter einer ebenso auffälligen, goldumrandeten Brille nach zehn Minuten angsterregenden Wartens energisch in das Zimmer von Verleger Brandt und bis zum leeren Stuhl vor seinem wuchtigen Schreibtisch geschoben, versuchte, ihren Faltenrock glattzustreichen und sich dabei möglichst wenig zu bewegen. Sie trug das blaue Kostüm, das sie durch ihr mündliches Abitur geleitet hatte und seitdem zu allen Gelegenheiten von größerer Bedeutung dafür zu sorgen hatte, daß sie sich nicht ihres zu jugendlichen Aussehens zu genieren brauchte. Dennoch war sie überzeugt, daß sich in ihren Augen und um den Mund schon vor dem ersten Wort der Unterredung die gespannte Unbehaglichkeit abgezeichnet hatte, die sie als eine ebenso große Belastung empfand wie die Zweifel, ob sie ihren Eltern je den Grund für ihre erste Niederlage auf dem Weg zur lockenden Selbständigkeit würde erklären können.

Der Verleger hatte eines jener glatten runden Gesichter, die Regina sonst immer die Scheu vor Fremden nahmen, weil weit auseinanderliegende Augen und eine breite Stirn sie auch bei weißhäutigen Männern spontan an die gutmütige Offenheit der Schwarzen denken ließ. Er saß in einer braunen Tweedjacke, die sie ebenfalls an ihre Kindheit, und zwar an ihren ersten Schuldirektor, erinnerte, vor einem Schreibtisch aus dunklem Holz, auf dem sich neben einem Fliederstrauß vergilbte Zeitungen zu einem wackeligen hohen Berg stapelten.

Regina ahnte, daß ihr nicht mehr viel Zeit bleiben würde, um wenigstens einen vernünftigen Satz zu sagen, wenn sie nicht umgehend das Schweigen brach, doch ihr fielen noch nicht einmal jene kleinen Verbindlichkeiten ein, die sie auf der langen Straßenbahnfahrt von der Konstabler Wache nach Offenbach formuliert und immer wieder geprobt hatte. Trotz aller herzklopfenden Bemühungen, sich auf den Anlaß ihres Besuchs und erst recht auf die Aufgabe zu konzentrieren, den Eindruck einer gescheiten jungen Frau zu erwecken, die es danach drängte, Block und Bleistift zu ergreifen und das Leben zu porträtieren, vertrödelte Regina ihre Zeit bei einem Gedankenspiel, das sie zwar als absurd empfand, von dem sie aber nicht mit der gebotenen Eile lassen konnte. Sie stellte sich mit einer Detailtreue vor, die sie im Angesicht ihrer Situation als absolut bemerkenswert einstufte, daß ihre Familie in den Zeiten der Not mit dem Wissen um solche Papierberge sich jeden Tag jenen Durchfall hätte leisten können, den alle noch mehr fürchteten als die Verknappung der Fettrationen. Regina fiel erst auf, daß sie im Gedanken an die Tage, als das gedruckte Wort längst nicht so wichtig war wie das Papier, auf dem es stand, wohl ihre Lippen bewegt haben mußte, als Uwe Brandt sagte: »Das gefällt mir. So ist es mir auch immer gegangen, als ich jung war. Ich hab einfach drauflos gelächelt, und die Leute hielten mich für freundlich.«

»Danke«, murmelte Regina.

»Wofür?«

»Daß Sie überhaupt etwas gesagt haben.«

»Das berühmte erste Wort«, lachte Brandt, »das macht allen Journalisten zu schaffen.«

Regina merkte noch vor dem Verleger, daß er selbst, wenn auch wohl ohne Absicht, den Grund ihres Besuchs zur Sprache gebracht hatte. Sie kramte, zu umständlich, wie sie sofort registrierte, in ihrer Handtasche, hielt ihm schließlich ihr Abiturzeugnis



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